Mit Publikum ist es besser

Mit Publikum ist es besser

Deutsche Meisterschaft Bouldern 2020
Juliane Fritz

Ein Beitrag von Juliane Fritz


Wie war es, bei der Deutschen Meisterschaft im Bouldern – ohne Publikum? Einfach Klettern-Autorin Juliane Fritz hat den Livestream der Deutschen Meisterschaft im Bouldern kommentiert und beschreibt uns ihre Eindrücke vom Wettkampf unter Corona-Bedingungen.

Die Deutsche Meisterschaft im Bouldern 2020 hätte ein wahnsinnig tolles Event sein können, mit einem großen, boulder-begeisterten Publikum. In einer Welt ohne Corona hätte die Meisterschaft im Rahmen der “Munich Boulder Week” stattgefunden. Innerhalb einer Woche wollte der DAV die Deutsche Meisterschaft und den Boulder Worldcup München austragen. Wer schon einmal beim Worldcup in München dabei war weiß, was für eine mächtige Stimmung dort aufkommen kann. Man stelle sich dieses Publikum mal bei der nationalen Meisterschaft vor.

Das Livestream-Team: Juliane Fritz und Juliane Wurm, bei der Deutschen Meisterschaft 2020

Zudem wäre es die Deutsche Meisterschaft gewesen im Jahr, in dem der Klettersport sein Olympia-Debüt feiert. Die Medien-Aufmerksamkeit fürs Klettern und für die deutschen AthletInnen war im Vorfeld stark gewachsen. Alexander Megos und Jan Hojer sind bereits qualifiziert, eine weitere deutsche Kletterin hätte noch die Chance gehabt auf einen Startplatz, beim letzten Qualifikations-Event für Olympia. Was für eine Anspannung, Aufregung und Freude.

Doch dann kam Corona. Olympia wurde verschoben. Der Wettkampf-Kalender 2020 enthielt nur noch Events mit dem Zusatz "cancelled" und "postponed". Auf Seite der AthletInnen hieß das: Sie kamen topfit vorbereitet aus dem Wintertraining, die ersten internationalen Events waren greifbar nah... doch plötzlich waren alle Trainings-Ziele weg! Fürs Publikum hieß das: 2020 wird nicht das spannendste Wettkampf-Jahr ever. Kein Jubeln in der Menschenmenge in München. Keine deutschen AhtletInnen in Tokyo, die wir gebannt am Bildschirm verfolgen.

Ich hatte ehrlich gesagt nicht mehr damit gerechnet, dass ich im Jahr 2020 noch irgendeine Deutsche Meisterschaft moderieren würde. Aber unter einigen Corona-Auflagen hat der Deutsche Alpenverein es möglich gemacht, dass im DAV Kletterzentrum Augsburg sogar zwei Events stattfinden konnten. Der European Youth Cup Lead (17./18. September) und die Deutsche Meisterschaft im Bouldern (19./20. September). Wie war also die Deutsche Meisterschaft im Bouldern 2020? Wie haben die Corona-Maßnahmen das Event beeinflusst und kann so ein Wettkampf ohne Publikum funktionieren?

Es gibt zwei neue Deutsche Meister im Bouldern!

Ich habe einige Boulderinnen und Boulderer auf meiner Liste der Favoriten gehabt, aber hätte nicht drauf wetten können, wer 2020 das Rennen macht. So ging es vielen, denn weil es bisher kaum Wettkämpfe gab, war es schwer für die AthletInnen ihre Fähigkeiten im Vergleich zu anderen zu sehen.

Die beiden Sieger im Jahr 2020 sind Hannah Meul und Philipp Martin. Beide hat man definitiv kommen sehen. Philipp Martin stand schon einige Male auf einem zweiten Platz bei Deutschen Meisterschaften. Es fehlte immer nur ein kleines Stück zum Sieg. Er ist meinem Eindruck nach ein sehr passionierter, super zielstrebiger Athlet und Wettkämpfer. Ihm war es wirklich zu wünschen, dass seine Arbeit mit einem 1. Platz auf dem Podium belohnt wird. Letztes Jahr konnte ich Philipp Martin vorm Boulder Worldcup in München interviewen und schon damals hatte ich das Gefühl, dass ihn seine Entschlossenheit noch weit bringen kann.

Hannah Meuls Sieg ist ein großartiges Zeichen dafür, dass wir starken, hoffnungsvollen Nachwuchs in Deutschland haben. Die 19-Jährige war 2018 Vierte bei den Youth Olympic Games und ist stark in allen drei Disziplinen: In Lead, Speed und Bouldern. Das hat sie auch in Augsburg gezeigt, wo sie an beiden Wettkämpfen teilnahm: Beim European Youth Cup Lead machte sie den dritten Platz, drei Tage später kam sie bei der Deutschen Meisterschaft Bouldern auf Platz 1. Für sie war das eine ganz besondere Konstellation, denn der Youth Cup war ihr letzter Auftritt in einem Jugend-Format. So beschreibt Hannah das Gefühl nach der Meisterschaft:

Die DM (Deutsche Meisterschaft) bei den Erwachsenen mit einem Sieg abzuschließen, nachdem ich gerade meinen letzten Jugend Wettkampf geklettert bin ist einfach ein unglaubliches Gefühl und ich bin überglücklich! Das zeigt mir, dass sich die ganzen harten Trainings, Freude, Schweiß, Tränen, Erfolge, Zweifel und Niederlagen in den vergangen Jahren gelohnt haben. Ich habe in der Jugend gelernt meinen Sport zu lieben. Die DM war ein Wettkampf, den ich vollkommen genossen habe! Ich habe es geschafft meine ganze Freude an die Wand zu bringen, das war einfach unglaublich schön!" Hannah Meul - Deutsche Meisterin im Bouldern 2020

Glückwunsch an alle Athletinnen und Athleten, die bei der Deutschen Meisterschaft dabei waren und ihr Bestes gegeben haben!

Wer es verpasst hat oder nochmal nachschauen möchte, kann sich die Deutschen Meisterschaft Bouldern 2020 bei Sport Deutschland TV ansehen.

Ein Boulder-Wettkampf ohne Publikum

Alma Bestvater bei der DM 2019

Für mein Gefühl haben die Corona-Einschränkungen in diesem Wettkampf keine so dominante Rolle gespielt, dass es z.B. die Stimmung unter den AthletInnen stark gedrückt hätte. Natürlich fehlte das Publikum, denn es waren nur am Event Beteiligte zugelassen. Doch wer konnte, stand vor der Wettkampf-Wand und feuerte an.

Auf dem gesamten Gelände galt eine Maskenpflicht, mit wenigen Ausnahmen. So liefen z.B. die Boulderinnen und Boulderer mit Maske an die Wand und nahmen sie für die Boulderzeit ab. Auch meine Moderations-Kollegin Jule Wurm und ich trugen die Maske auf dem Gelände, mit Ausnahme der Zeit, die wir vor der Kamera saßen um zu moderieren. Ich denke es gab eine große Akzeptanz dieser Maßnahmen, auch weil den meisten klar war, dass das Event nur stattfinden kann, weil man sich an die Regeln hält.

Manchmal gab es jedoch sehr stille Momente im Wettkampf. Da arbeitete sich ein Wettkämpfer Richtung Top und es gab kein “Auf geht’s” oder “Geht schon” aus der Menge. Vielleicht war es Zufall, dass manchmal niemand da sein konnte, um anzufeuern. Was schade war, denn natürlich wünscht man jedem den gleichen Applaus und Support.

Was man hierzu wissen muss ist: Kletter-Wettkämpfe ohne Publikum sind keine Seltenheit für die AthletInnen. In der Trainings-Phase finden oft Simulations-Wettkämpfe statt und es gibt sogenannte Nominierungs-Wettkämpfe, in denen TeilnehmerInnen für internationale Events ermittelt werden. Ich habe einige dieser Events besucht und sie haben oft kein bis sehr wenig Publikum. Auch hier müssen die AthletInnen ohne Zuschauerjubel alles geben, um zum Beispiel einen Startplatz bei einem Worldcup zu bekommen.

Als Zuschauerin liebe ich die Stimmung im Publikum. Die Dynamik und die gemeinsame Begeisterung für den Sport zu spüren ist phänomenal. Ich vermisse es im Corona-Jahr, Publikum sein zu dürfen! Die Frage ist - wie sehr haben die AthletInnen uns, das Publikum vermisst?

Ich habe nachgefragt:

So eine beinahe "stimmungslose" DM war schon komisch, mich pusht das Anfeuern des Publikums normalerweise schon deutlich. Die Coaches und anderen Starterinnen und Starter, die jetzt zugeschaut haben, waren zwar besser als gar kein Support, aber nicht vergleichbar. Doch bei diesem Wettkampf waren ja einige Dinge ungewohnt, nicht nur das fehlende Publikum: Masken, eigene Bürsten, Abstand… Insgesamt waren wir glaube ich trotzdem alle froh, dass es überhaupt wieder Wettkämpfe gibt. Linus Raatz, DAV Berlin

Es war schon ein bisschen schade, dass es ohne Publikum stattgefunden hat, da das schon nochmal mehr pusht. Ich hatte schon ein Wettkampfgefühl, auch als ich nicht geklettert bin, da ja glücklicherweise wir Athleten den anderen Startern doch zuschauen durften und sich alle gegenseitig angefeuert haben. Das hat das fehlende Publikum wenigstens ein bisschen ersetzt. Lucia Dörffel, DAV Chemnitz

Das Klassentreffen der besten Boulderinnen und Boulderer Deutschlands

Ich glaube es gibt einen wichtigen Aspekt, der die Stimmung bei der Deutschen Meisterschaft hoch halten konnte. Wenn ich mit den AthletInnen kurz vor Wettkämpfen schreibe, stelle ich ihnen die Frage, mit welchen Gedanken sie in die Meisterschaft gehen. Eine der häufigsten Antworten ist: “Ich freue mich darauf viele meiner Freunde wiederzusehen.” Manchmal habe ich das Gefühl, diese Deutschen Meisterschaften sind wie ein Klassentreffen für die AthletInnen. Sie kennen sich von diversen Trainings und Wettkämpfen, aber es ist selten, dass sich alle zusammen sehen.

Außerdem bekomme ich oft das Feedback, dass man zu selten die Möglichkeit hat in den “Wettkampf-Modus” zu kommen oder dass so eine Meisterschaft ein wichtiges Ziel ist, auf das sie hin trainieren. All diese Aspekte: Die Gemeinschaft, die Wettkampf-Praxis und die Trainings-Zielsetzung waren nun endlich wieder möglich, trotz Corona. Ich glaube, das hat dazu beigetragen, dass es letztendlich ein stimmiges Event war.

Das Fazit: Eine Deutsche Meisterschaft im Bouldern ohne Publikum kann man schon mal machen und es ist wahnsinnig toll, dass der DAV dieses Event trotz Corona organisiert hat. Aber mit Publikum ist es einfach besser! P.S.: Wer erfindet mal schnell einen Jubel-Button, den die Zuschauer zuhause drücken und den die Boulderinnen und Boulderer an der Wand hören können?

Weiter geht es mit der Internationalen Deutschen Meisterschaft Lead

Hojer, Fell, Firnenburg und Co - SO messen sich die besten Kletterer Deutschlands
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Auch die Deutsche Meisterschaft Lead wird es im Jahr 2020 geben, am 10. und 11. Oktober im eXXpozed Dietmannsried. Leider wieder ohne Publikum.

Spannend ist hierbei, dass es sich diesmal um eine Meisterschaft mit internationaler Beteiligung handelt. Der DAV wird einzelne Kletterinnen und Kletterer aus benachbarten europäischen Ländern zum Wettkampf einladen. Diese Idee entstand, um in Corona-Zeiten trotzdem die Möglichkeit eines internationalen Vergleichs zu haben, wenn auch im kleineren Rahmen. Ähnlich hatte es der österreichische Kletterverband bereits gemacht. Zur "Austria Climbing Summer Series" waren auch deutsche Athletinnen und Athleten eingeladen.

Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft Lead wird es eine Gesamtwertung aller AthletInnen geben und eine separate deutsche Wertung, in der der neue deutsche Meister und die neue deutsche Meisterin bestimmt werden. Auch dieses Event wird bei Sport Deutschland TV zu sehen sein.


Titel- und Wettkampf-Foto: © DAV/Thomas Schermer